Dieses Blog durchsuchen

Rezension: Nordische Malerei- Im Licht der Moderne-Prestel

Die Autorinnen dieses wundervollen Kunstbandes Katharina Alsen und Annika Landmann befassen sich im Zuge diese Publikation mit wichtigen Bildthemen wie Landschaften, Porträts, Interieurs, Großstadtmotivik und Abstraktion. Dazu ziehen sie Werke von Künstlern wie Edvard Munch, Vilhelm Hammerschoi, Helene Schjerfbeck, Jóhannes S. Kjarval oder auch Sigrid Hjertén heran. 

Im Rahmen von neun Kapiteln widmen sich die Autorinnen interessanten Fragestellungen, so etwa nach den Wechselwirkungen zwischen nordischen und mitteleuropäischen Künstlern. 

Zunächst aber wird man mit dem kunstgeographischen Norden vertraut gemacht und liest in der Folge von der Idee des Nordens, die in der Forschung von verschiedenen Seiten als kulturgeographisches Konstrukt ausgewiesen worden ist, das sich seit Jahrhunderten im Wandel begreift und in "dynamischer Relation zu anderen kollektiven Identitätsentwürfen wie "Skandinavien", der "Arktis" oder der historischen " Hanse" im Ostseeraum stand oder steht." 

Die wichtigen Faktoren der kulturellen Verbundenheit der nordischen Länder sind die religiöse Homogenität des Protestantismus und die nordische Sprachgemeinschaft. Das soll nicht unerwähnt bleiben.

Man lernt Landschaftsbilder, beispielsweise von Emil Nolde kennen und erfährt Wissenswertes über die Geburt der bildenden Kunst in Island. Dabei ist die topographische Einzigartigkeit dieser Insel im Nordatlantik mit ihren elementaren Naturgewalten ein zentrales Motiv der isländischen Naturpoesie.

Es führt zu weit, auf all die genannten Künstler und Werke im Rahmen der Rezension einzugehen. Von dänischen, auch von finnischen Künstlern liest man,  aber auch von der Bildkunst Grönlands. Die Fülle des dargebotenen Wissens ist  mehr als nur beachtlich und lässt den Leser in eine Welt eintauchen, die immer wieder nicht enden wollendes Staunen zum Ergebnis hat. Das gilt auch für das Kapitel "Freiluftvitalismus und Körperkultur". Schon zu Beginn der Jahrhundertwende hatte sich bei an der Westgrenze der dänischen Insel Seeland eine vitalistisch orientierte Gruppierung mit künstlerischer Agenda zusammengefunden, um unter freiem Himmel nackt körperlich zu ertüchtigen, sonnenzubaden und sich gegenseitig Modell zu stehen. 1903 wurde die Kolonie aufgelöst. Werke von J. A. G. Acke, Edvard Munch, oder J. F. Willumsen erinnern daran.

Über Dandyismus, auch über Sinnlichkeit und Begehren in der nordischen Malerei bleibt man nicht unaufgeklärt und kann sich zudem mit der Morbidität des Körpers auseinandersetzen. 

Sehr schön und wohltuend für die Seele sind die Stimmungslandschaften und die Nationalromantik. Dabei stellt die Beseelung der Natur, die durch das künstlerische Schaffen erfolgen soll,  ein Leitmotiv der nationalromantischen Stimmungsmalerei dar. Traumhaft übrigens ist das Gemälde "Sommerabend am Skagener Südstrand" von P. S. Kroyer, 

Vorgestellt werden  zudem Künstlerkolonien von Skagen bis Önningeby und Wohnideale wie sie der schwedische Maler Carl Larsson geschaffen hat. 

Im Dialog mit der Avantgarde werden Abstraktionen thematisiert und Bilder wie der "Schicksalswürfel" von Finnur Jonsson vorgestellt. Noch eine Vielzahl anderer Aspekte der nordischen Malerei kommen zu Sprache und machen dem Leser deutlich, dass es hier ein weites Feld zu beackern gilt. Einsamkeit bringt kreative Vielfalt hervor.

Ein tolles Werk, das ich sehr gerne weiter empfehle.

Helga König

Überall im Handel erhältlich
Onlinebestellung: Prestel oder Amazon

Rezension: 100 Jahre 100 Bauwerke- John Hill- Prestel

Autor dieses Buches ist der Architekt John Hill. Er ist Chefredakteur des internationalen Online-Magazins World-Architects.com sowie Gründer und Chefredakteur des Blogs "A Daily Dose of Architecture". Dort veröffentlicht er täglich Artikel zu architektonischen Neuheiten und Buchbesprechungen. John Hill lebt in New York. 

Das vorliegende Buch begreift er als eine Art Experiment. Er stellt 100 Bauwerke der letzten 100 Jahre vor. Konkret handelt es sich stets um ein Gebäude pro Jahr von 1916 bis 2015.  Dieses Buch ist keine Architekturgeschichte der letzten 100 Jahre, wie der Autor betont, sondern eine Art Einführung in 100 Bauwerke, mit dem Ziel, die Leser dazu zu motivieren, diese zu besuchen und sich den Nuancen der einzelnen Projekte, den Details ihrer Gestaltung sowie den einzigartigen Aspekten jedes Entwurfs aufmerksam zu widmen. 

Bei den Betrachtungen geht es dem Autor um die Umstände ihrer Entstehung. Wichtig  zu wissen ist es, wie John Hill den Begriff Architektur definiert. Sie ist für ihn die Schaffung von Räumen für menschliche Betätigungen. 

Man erfährt Wissenswertes zu den Auswahlkriterien der Gebäude für diese Publikation und kann sich dann in die Bauwerke vertiefen. Sie sind natürlich alle abgebildet. Man erfährt stets, wer der Architekt ist und wo  sich das jeweilige Gebäude befindet. 

Fasziniert hat mich Erich Mendelsohns "Einsteinturm" in Potsdam gleich zu Beginn. Er entstand 1921, dient heute als Sonnenobservatorium und Ort für Sonderveranstaltungen im sogenannten "Wissenschaftspark Albert Einstein". Der Architekt versuchte mittels des Gebäudes, die der allgemeinen Relativitätstheorie zugrunde liegende Bewegung und Energie darzustellen. Nachdem der Turm 1921 fertiggestellt worden war, wurden drei Jahre später das Teleskop von Carl Zeiss und weitere Inneneinrichtungen installiert. 

Die im Buch vorgestellten Gebäude sind weltweit lokalisiert. Dabei befindet sich das 1918 fertiggestellte "Goetheanum"  des Anthroposophen Rudolf Steiner in Dornach in der Schweiz. Das architektonische Highlight des Baus ist die Treppenhalle im Westen. Es handelt sich dabei um einen komplexen, lichtdurchfluteten Raum mit großen von Steiner gestalteten Fenstern. Sehr beeindruckend.

Unmöglich ist es, all die Gebäude im Rahmen der Rezension benennen oder gar zu beschreiben. Begeistert bin ich von der "Casa Luis Barragán", gebaut 1948 in Mexiko Stadt durch den gleichnamigen Architekten. Im gesamten Innenraum ist Farbe von entscheidender Bedeutung. Alles ist auf Schönheit angelegt. Die Dachterrasse, die offenbar von Haus und Garten unterhalb abgeschnitten ist,  wird eins mit dem Himmel und auf diese Weise zum Ort der Kontemplation. 

Erwähnen möchte ich das 1998 entstandene "Kulturzentrum Tjiabou in Nouméa, Neukaledonien". Es wurde vom Renzo Piano Building Workshop errichtet. Piano arbeitete dabei mit einem Etnologen zusammen. Die Gebäude wirken wie Skulpturen. Man kann sich daran nicht sattsehen. 

Das Buch ist eine Fundgrube höchst interessanter Gebäude. Über diese mehr zu erfahren, ist spannend und bereitet viel Freude. Die Fotos bereichern all jene, die einen Sinn für Ästhetik haben. 

Sehr empfehlenswert 

Helga König

Das Buch ist im Fachhandel erhältlich.

Onlinebestellung: Prestel oder Amazon

Rezension: J `aime tant fort une- Das Stundenbuch des Königs Charles VIII- Ina Nettekoven- Hirmer

Die vorliegende reich bebilderte Studie, denn um eine solche handelt es sich, ist einem königlichen Buch gewidmet. Ina Nettekoven befasste sich 13 Jahre hindurch mit den Forschungen über das Stundenbuch Charles VIII. von Frankreich. 

Nettekoven berichtet zunächst über das Pariser Buchwesen um 1500, weil der vorliegende Band sich mit der Situation in Paris in der Zeit um 1500 befasst, als das dortige Buchgewerbe sich in einer Umbruchsphase befand. Fokussiert werden zwei Handschriften, von denen eine nachweisbar für den französischen König VIII. angefertigt wurde. Es handelt sich bei beiden Werken um Andachtsbücher, die allgemein in Frankreich und Flandern sehr verbreitet waren. 

Das Stundenbuch für den König wird mit dem Pariser Verleger und Buchhändler Anthoine Vérard in Verbindung gebracht. Im Vergleich zu anderen Stundenbüchern besitzt es ein herausragendes Merkmal. Dieses besteht darin, dass es fortlaufende Bildgeschichten um jede Textseite zeigt, die von Erläuterungen in französischer Sprache begleitet werden. 

Man erfährt Näheres über das wenig glückliche Leben Charles VIII, aber auch über seine Affinität zu Büchern. Dabei muss man wissen, dass er als Förderer der Künste und Literatur sehr früh schon und auch unbeirrbar seinen Weg verfolgte. Er besaß eine große Leidenschaft für schöne Bücher, deren Inhalte und deren Herstellung er hegte. 

Auch über den Verleger Anthoine Véraud wird man aufgeklärt, der seinem König das berühmte Stundenbuch schenkte. 

Ausführlich wird man über den Inhalt des Werks unterrichtet und kann sich in das Bildwerk vertiefen. Die Broschürenhistorien- das sind die fortlaufenden Bilderzählungen in den Bildrändern- werden textlich sehr gut begreifbar gemacht. Der Text der Bußpsalmen wird  übrigens beeindruckend von den Weissagungen der Sibyllen flankiert. 

Unmöglich ist es, all die Einzelheiten hier in der Rezension zu benennen, die in dieser Studie zum Stundenbuch zu Sprache kommen. Interessant ist es, soviel kann gesagt werden, die Gemeinsamkeiten der beiden eingangs erwähnten Manuskripte (Handschriften) kennenzulernen und dem wissenschaftlichen Anliegen Nettekovens  nachzuspüren.

Ein wunderbares Buch, das den Leser mit einem ganz berühmten Werk vertraut macht und uns verdeutlicht, wie viel Können und Zeitaufwand eine solche Kostbarkeit bedurfte. 

Empfehlenswert.

Helga König

Das Buch ist überall im Fachhandel erhältlich
Onlinebestellung: Hirmer oder Amazon

Rezension: Lesen –Steve McCurry

Das Vorwort zu dem bemerkenswerten Fotoband hat der amerikanische Reiseschriftsteller Paul Theroux verfasst. Der Fotograf und Fotojournalist Steve McCurry, der die Bilder für das Buch realisierte, wurde vielfach ausgezeichnet und schreibt eingangs, dass seine Fotos lesender Menschen eine persönliche Hommage an den legendären Fotografen André Kertéz seien, dessen Fotografien lesender Menschen zu dessen eindringlichsten Bildern zählten. 

Bevor man das mehrseitige Vorwort von Paul Theroux studieren kann, erhält man einen Einblick in eine berühmte Bibliothek in Rio de Janeiro. Ein junges Mädchen steht auf einer Leiter, die an eine Bücherwand angelehnt ist und liest ein Buch. Lesebegeisterte sind natürlich neugierig, um welches Buch es sich handelt. Wir werden es nicht erfahren. Ein Eindruck bleibt: Lesen ist ein Ausdruck von Neugierde. 

Theroux reflektiert in seinem Vorwort das Lesen, das für ihn eine ernste Angelegenheit ist, eine Zuflucht und Erleuchtung, eine Erfahrung, die zuweilen offen zutage tritt. Er hat sogar den Eindruck, dass vom lesenden Menschen etwas Strahlendes ausgeht. Theroux lässt den Leser nicht im Ungewissen, dass er selbst ein hochgebildeter Leser ist und verrät, dass er als Kind eine Vorliebe für Abenteuerbücher entwickelte. Er erwähnt den Wettstreit "Schulbücher" gegen "alle anderen Bücher", sprich die Pflichtlektüre gegen jene Werke, die Freude schenkten.

Zu Recht weist Theroux darauf hin, dass es sich um einen ein weit verbreiteten Irrtum handele, dass die Erfahrung mit Büchern aus einem Leser einen Schriftsteller mache. Theroux liest nur selten die neuesten oder die angesagtesten Bücher, weil er nicht abgelenkt werden möchte. In seinen Augen sind die Fotografien von Steve McCurry wunderbar. Diesem Urteil schließe ich mich nach dem ausgiebigen Studium des Bildbandes an. 

Die Fotos sind über mehrere Jahrzehnte hinweg in verschiedenen Ländern aufgenommen worden. Es ist wohl wahr, die Bilder dokumentieren die Selbstvergessenheit des Lesers und schenken den Eindruck purer Freude. Jedes Foto erzählt eine Geschichte. Das gilt für die beiden Mönche, die vor dem Tempel von Bakong in Kambodscha in Bücher vertieft sind, ebenso wie für die schöne, junge Frau, die in einer Bar in Kapstadt es vorzieht, einen Roman zu lesen, anstelle sich für ihr Umfeld zu interessieren. Es gilt auch für einen auf dem Boden sitzenden Händler in Kabul, der einer Frau, die eine Burka trägt, etwas vorliest, aus einem Gedichtband wie es scheint. 

Eine betagte Asiatin, liest selbstvergessen in Lourdes in einem Gebetbuch und ebenso selbstvergessen liest ein junger Mann in Chiang Mai in Thailand in einem Buch, von dem man annimmt, dass es voller Poesie ist. Der Gesichtsausdruck des Lesenden lässt diesen Schluss zu. 

Das Foto, das am meisten berührt, zeigt im Vordergrund einen jungen Mann mit Turban, der im Rollstuhl sitzt. Er hat die Beine verloren. Daneben steht ein lachendes Kind auf Krücken, das ebenfalls keine Beine mehr hat. Der junge Mann liest dem Kind etwas aus einem Buch vor, das offenbar witzige Karikaturen enthält und beide gehen gedanklich auf Reisen. Die Lektüre lässt sie den schlimmen Zustand, in dem sie sich befinden, für Momente vergessen. Ein Buch kann Balsam für die Seele sein.

Irgendwo in Äthiopien liest ein Mädchen in ihrem Schulheft. Der Raum, in dem sie sich befindet, ist in einem desolaten Zustand. Dieses Kind wurde von der Welt alleine gelassen. Seine Hoffnung ist die Bildung. 

Alle Fotos zeigen, der Lesende vergisst sich selbst, geht auf Reisen und kommt in der Welt des Geistes an, einer Welt, die Freiheit verspricht, wenn man sich keine Denkbarrieren aufbaut. Ein Lesender ist ein Suchender, der fast immer etwas findet.

Sehr empfehlenswert 

Helga König

Überall im Buchhandel erhältlich

Onlinebestellung Prestel oder Amazon